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Kleindenkmal: Brunnen in Endingen
Steckbrief
Gemeinde: Endingen am Kaiserstuhl
Gemarkung: Endingen am Kaiserstuhl
Standort: Ecke Hauptstraße / Dielenmarktstraße
Typ: Laufbrunnen
Beschreibung:
Achteckiger Laufbrunnen aus rotem Sandstein mit zwei Auslaufrohren. Kannelierte Brunnenstocksäule auf hochrechteckigem Postament mit kelchförmiger Abschlussskulptur auf mehrfach gestuftem Kapitell. Brunnentrog aus Steinplatten, verziert mit Kartuschen. In einer Kartusche das Stadtwappen, umrahmt von der Jahreszahl 1757.
Gesamthöhe des Brunnenstocks: 5,20 m
Weitere Infos zum Kleindenkmal
Die städtische Wasserversorgung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit
Der Laufbrunnen aus rotem Sandstein an der Ecke Hauptstraße/Dielenmarktstraße in Endingen wurde 1757 anstelle eines älteren Brunnens errichtet. Öffentliche Brunnen waren Teil der vormodernen städtischen Wasserversorgung und erfüllten zudem auch repräsentative Funktionen. Der Bedarf der wachsenden Bevölkerung an sauberem Trinkwasser und Brauchwasser musste gedeckt werden, Löschwasser für die Brandbekämpfung zur Verfügung stehen. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde in Endingen der natürliche Bachlauf des Erlebachs umgestaltet und ein Stadtbachsystem angelegt, das dem natürlichen Gefälle über die Bachstraße, Dielenmarktstraße und Lehenhofstraße folgte. Der Stadtbach floss in offenen Kanälen, er versorgte Handwerksbetriebe und Haushalte mit Brauchwasser und diente der Entwässerung. Trinkwasser lieferten Tiefbrunnen, die Grund- und Sickerwasser nutzten, sowie öffentliche Laufbrunnen, die aus gefassten Quellen im Erletal gespeist wurden. Um das Wasser von dort in die Stadt zu leiten, verwendete man sogenannte Deicheln, Baumstämme aus Nadelholz, die der Länge nach durchbohrt, mittels Muffen verbunden und unterirdisch verlegt waren. Die an diese Druckleitungen angeschlossenen Brunnen liefen permanent und mussten mit einem Abfluss für nicht verbrauchtes Wasser versehen sein. Die hölzernen Leitungen bestanden bis ins 19. Jahrhundert, dann wurden in der Stadt Rohre aus Gusseisen verlegt.
Die Bezeichnung „Judenbrunnen“
Der Laufbrunnen ist unter zwei Bezeichnungen bekannt, einerseits „Wettebrunnen“ nach dem alemannischen Wort „Wette“ für einen künstlich angelegten Teich oder ein Wasserreservoir. Der andere Name „Judenbrunnen“ geht auf die frühere Bezeichnung des östlichen Abschnitts der Hauptstraße zurück, der „Judengasse“ genannt wurde. Dieser Straßenname war lange gebräuchlich, obwohl seit dem Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert keine Juden in Endingen lebten.
Ein mutmaßlicher Mordfall diente im Jahr 1470 als Anlass, die in der Stadt wohnenden Jüdinnen und Juden dauerhaft auszuweisen. Man hatte im Beinhaus vier teilweise mumifizierte Leichen ohne Köpfe gefunden, sie mit einem fahrenden Paar und seinen beiden Kindern in Verbindung gebracht, das mehrere Jahre zuvor bei einer jüdischen Familie Unterkunft gesucht hatte, und die Tat drei Juden angelastet. Diese wurden nach damaliger Praxis unter Folter verhört, des Ritualmords für schuldig befunden und hingerichtet. Zuletzt bestätigte Kaiser Maximilian I. im Jahr 1517 der Stadt Endingen das Vorrecht, keine Juden aufzunehmen. Noch Ende des 18. Jahrhunderts begründete die städtische Obrigkeit ihre Weigerung, den Zuzug von Juden zu gestatten, mit dem Hinweis auf die Mordgeschichte.
Die Legendenbildung um diese Ereignisse führte zu einem regelrechten Kult um die aufgefundenen Leichname. Die toten Kinder wurden bis in die 1960er-Jahre in der Pfarrkirche St. Peter ausgestellt und verehrt. Der vorgebliche Tathergang wurde vielfach rezipiert und fand auf diese Weise Eingang in das kollektive Gedächtnis. Am Eckhaus neben dem Brunnen war eine Tafel mit einer bildlichen Darstellung angebracht, auch die Glockenzier der 1714 gegossenen großen Glocke der Kirche St. Peter griff das Thema auf. Mitte des 18. Jahrhunderts ließ der als Pfarrprediger in Kenzingen wirkende Franziskanerpater Albuin Wahl eine judenfeindliche Predigt mit Bezug auf den Fall drucken. Eine erste szenische Bearbeitung des Stoffes wurde 1616 in Endingen aufgeführt. Möglicherweise damit in Zusammenhang steht das 1883 publizierte „Endinger Judenspiel“ eines unbekannten Autors, das nur in Manuskripten des 19. Jahrhunderts überliefert ist. Ein Jahr zuvor, 1882, war in der antisemitisch geprägten Zeitschrift „Der Kulturkämpfer“ der Artikel eines anonymen Verfassers erschienen, der die Schilderung des angeblichen Ritualmords zu einer Hetze gegen seine jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger nutzte.
Literatur:
Baeriswyl, Armand: Sodbrunnen – Stadtbach – Gewerbekanal. Wasserversorgung und -entsorgung in der Stadt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit am Beispiel von Bern, in: „… zum allgemeinen statt nutzen“. Brunnen in der europäischen Stadtgeschichte. Referate der Tagung des Schweizerischen Arbeitskreises für Stadtgeschichte, Bern, 1. bis 2. April 2005, hg. von Dorothee Rippmann, Wolfgang Schmid, Katharina Simon-Muscheid, Trier 2008, S. 55-68.
Fehrenbach, Philipp: Endingen, Weimar und Drittes Reich, in: Endingen am Kaiserstuhl. Die Geschichte der Stadt, hg. von Bernhard Oeschger, Endingen 1988, S. 169-185.
Frey, Winfried: Das Endinger Judenspiel, in: Die Legende vom Ritualmord. Zur Geschichte der Blutbeschuldigung gegen Juden, hg. von Rainer Erb, Berlin 1993, S. 201-221.
Grewe, Klaus: Wasserversorgung und -entsorgung im Mittelalter. Ein technikgeschichtlicher Überblick, in: Die Wasserversorgung im Mittelalter, hg. von der Frontinus-Gesellschaft e. V. (Geschichte der Wasserversorgung, Bd. 4), Mainz 1991, S. 11-86.
Jenisch, Bertram, Michels, Mechthild: Endingen am Kaiserstuhl. Archäologischer Stadtkataster Baden-Württemberg, Bd. 19, Stuttgart 2002.
Kleinschmidt, Erich: Repräsentation und Identität. Problemlagen urbaner Theatralität am Beispiel des Endinger »Judenspiels« von 1616, in: Stadt und Theater, hg. von Bernhard Kirchgässner und Hans-Peter Becht (Stadt in der Geschichte, Bd. 25), Stuttgart 1999, S. 103-118.
Kurrus, Karl: Die unschuldigen Kinder von Endingen, in: Endingen am Kaiserstuhl. Die Geschichte der Stadt, hg. von Bernhard Oeschger, Endingen 1988, S. 599-608.
Kurrus, Karl: Die unschuldigen Kinder von Endingen, in: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-ins-Land“ 83 (1965), S. 133-148.
Kurrus, Karl: Ein Rundgang im Städtli mit Brinne und Tor, in: Endingen am Kaiserstuhl. Die Geschichte der Stadt, hg. von Bernhard Oeschger, Endingen 1988, S. 680-697.
Marsh, Lisa: Gesamttabelle der erfassten Kleindenkmale des Landkreises Emmendingen, unveröffentlichte PDF-Datei des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg, 2019.
Speck, Dieter: Endingen als vorderösterreichische Stadt, in: Endingen am Kaiserstuhl. Die Geschichte der Stadt, hg. von Bernhard Oeschger, Endingen 1988, S. 95-144.