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Kleindenkmal: Das Wehr an der Glotter in Bahlingen am Kaiserstuhl
Steckbrief
Gemeinde: Bahlingen am Kaiserstuhl
Gemarkung: Bahlingen am Kaiserstuhl
Standort: Glotter zwischen den Gewannen Dreispitz und Berschig
Typ: Wasserbauanlage
Beschreibung:
Wehr an der Glotter zur Regulierung der Wiesenwässerung. Wehrkörper aus Sandstein mit vier hölzernen Schütztafeln mit Schraubenspindelantrieb.
Baujahr: 1856/1858
Maße: Länge ca. 25 m, Breite ca. 7 m, Höhe ca. 4 m
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Das Wehr an der Glotter in Bahlingen am Kaiserstuhl
Die Wiesenwässerung war seit dem Mittelalter eine gängige Form der Bewirtschaftung zur Steigerung des Heuertrags. Die Böden wurden durchfeuchtet und mit den im Wasser enthaltenen Mineral- und Nährstoffen gedüngt. Mithilfe der Wässerung konnte der Bestand an Mäusen und Engerlingen reduziert werden. In den Wintermonaten beschleunigte die Berieselung die Schneeschmelze und das Auftauen des Bodens. Auf diese Weise ließ sich die Futterproduktion erheblich steigern. Im 19. Jahrhundert führten die Intensivierung der Landwirtschaft zur Versorgung der wachsenden Bevölkerung, die Umstellung auf Stallfütterung in der Tierhaltung und die Regulierung der Flussläufe zu einer Ausweitung der Wässerwiesen. Diese Entwicklung wurde von staatlicher Seite gefördert und gelenkt. Zahlreiche Fachpublikationen widmeten sich der Optimierung des Verfahrens. Durch die Ackerbauschule Hochburg wurden Lehr-Wässerwiesen angelegt und Fortbildungskurse veranstaltet.
Die zur Wässerung angelegten Grabensysteme und wasserbaulichen Anlagen prägen noch heute die Kulturlandschaft der Region. Man unterscheidet Wehre zur Stauung der Fließgewässer, Schleusen, durch die Wasser in die Hauptbewässerungsgräben abgeleitet wurde, und Stellfallen, welche die Befüllung der Verteilungsgräben steuerten. Abzugsrinnen dienten der Entwässerung. Zur Anwendung kamen je nach Gefälle und Bodenbeschaffenheit verschiedene Wässerungsverfahren: Bei der Berieselung floss das Wasser von der höchsten Stelle des Geländes aus kontinuierlich über die Wiesenfläche. Bei der Überstauung stand das Wasser eine Zeitlang auf der Wiese, bevor es abgeleitet wurde. Am Oberrhein erfolgten die Wässerungen stundenweise im Herbst, im Frühjahr und im Sommer nach der Heuernte an durchschnittlich 115 Tagen pro Jahr, wobei Zeitpunkt, Dauer und Menge der Wasserentnahmen durch die Wiesenbesitzer festgelegt werden mussten. Bau, Betrieb und Unterhalt der Anlagen waren oft genossenschaftlich organisiert.
Bald nach der Entstehung des Großherzogtums Baden begradigte man die mäandernden Flüsse in großem Umfang, um Überschwemmungen zu reduzieren und neue Flächen für die Landwirtschaft zu gewinnen. Die Gemeinde Bahlingen ist ein typisches Beispiel für diese Entwicklung. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Dreisam und die Elz kanalisiert und bei Riegel ein Flutkanal zum Rhein, der nach dem damaligen Großherzog benannte Leopoldskanal, angelegt. In der Folgezeit regulierte man auch die Alte Dreisam. Durch den Kanalbau litten die angrenzenden Flächen unter Trockenheit und mussten künstlich bewässert werden. Daher schlossen sich die Wiesenbesitzer aus Bahlingen und Riegel im Jahr 1852 zur Entennest-Wässerungsgenossenschaft zusammen, die bis 1997 fortbestand, und errichteten in den 1860er-Jahren eine Wässerungsanlage. Das Wehr an der Alten Dreisam, mehrere Schleusen an den Hauptbewässerungsgräben und eine Reihe einfacher und doppelschütziger Stellfallen sind heute noch erhalten. Organisationsform, Konzeption der Anlage und Wässerungstechnik hatten Vorbildcharakter für nachfolgende Projekte. Mitte des 19. Jahrhunderts ließ die Gemeinde Bahlingen den als Allmende genutzten Schlattwald roden und Ackerland und Wiesen anlegen, die über eine von der Glotter gespeiste Wässerungsanlage versorgt wurden. Die Fläche wurde in sogenannte Allmendlose aufgeteilt und an die Nutzungsberechtigten ausgegeben. Nach Vollendung des 25. Lebensjahres und Zahlung einer Gebühr hatte jeder Bürger oder dessen Witwe Anspruch auf Teilhabe an der Allmende, den sogenannten Bürgergenuss oder Bürgernutzen. Mit der Änderung der Gemeindeordnung von Baden-Württemberg im Jahr 1966 wurde die Vergabe von Nutzungsrechten an der Allmende eingestellt. Somit wurde die Bahlinger Allmende 1971 aufgelöst und die Nutzungsberechtigten wurden entschädigt.
Die Wiesenwässerung war eine sehr arbeitsintensive Bewirtschaftungsform. Zuleitungs- und Abzugsgräben mussten gepflegt werden, um Überschwemmungen zu vermeiden. Zudem verschärfte sich in niederschlagsarmen Zeiten die Niedrigwassersituation in den Bächen und Flüssen durch die Wasserentnahme. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Wiesenwässerung allmählich aufgegeben. Durch den Einsatz landwirtschaftlicher Maschinen und die Verwendung von Kunstdünger ließen sich höhere Erträge erzielen. Zudem führte die Ausdehnung des Weinbaus und der Rückgang der Rinderhaltung verstärkt zur Umwandlung von Wiesen in Ackerflächen. Heute kommt den Relikten dieser einst so verbreiteten Landnutzungsform große kulturgeschichtliche Bedeutung zu. Daher stehen viele Anlagen unter Denkmalschutz, zumal die Regelungsbauwerke und Grabensysteme durch Bebauung, landwirtschaftliche Nutzung und Befahrung gefährdet sind.
Literatur:
Leibundgut, Christian: Grundzüge der Wiesenwässerung – historisch und gegenwärtig, in: Das Natur- und Landschaftsschutzgebiet «Elzwiesen». Herausragendes Naturpotential einer alten Kulturlandschaft, in: Naturschutz am südlichen Oberrhein 5 (2009), S. 39-52.
Lutz, Thomas: Der Schlattwald als Allmendfläche der Gemeinde Bahlingen am Kaiserstuhl, in: Badische Heimat 59 (1979), S. 293-304.
Marsh, Lisa: Gesamttabelle der erfassten Kleindenkmale des Landkreises Emmendingen, unveröffentlichte PDF-Datei des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg, 2019.
Schellberg, Sabine: Parapotamische Nutzungssysteme. Wiesenwässerung am Fuß des Kaiserstuhls, Diss. masch., Freiburg im Breisgau 2011, URL: freidok.uni-freiburg.de/data/8607.
Steffens, Thomas: Bahlingen im neunzehnten Jahrhundert, in: Bahlingen am Kaiserstuhl, hg. von Gerhard A. Auer, Thomas Lutz, Axel Verderber, Bahlingen 2002, S. 167-208.